Heute möchte ich mal ein wenig „hinter die Kulissen“ eines Fotoworkshops schauen und mich den Fragen widmen, wo die (didaktischen) Grenzen eines Fotocoachings liegen und welche Fragen eigentlich nicht sinnvoll ohne Gegenfrage beantwortet werden können.
Dazu teile ich ein paar Erfahrungen, die mir in den letzten Jahren der Durchführung von Fotoreisen, Workshops und Coachings aufgefallen sind. Dieser Artikel ist in meinen Augen nur für ambitionierte Einsteiger/Aufsteiger der Naturfotografie, vor allem für Interessenten von Workshops und Fotoreisen, relevant.
Die Ausgangssituation
Auf geführten Fotoreisen ist das fotografische Vorwissen der Teilnehmenden meist sehr heterogen. Einige sind bereits sehr erfahrene FotografInnen und sehen mich eher als Guide, andere sind auch
sehr froh um jeden technischen oder gestalterischen Tipp.
Man kann als Workshopleiter/Coach auch viele solcher Tipps aufzeigen - bei Coachings und Workshops (mache ich persönlich deutlich öfter als Fotoreisen) gibt es diese Tipps eher als intensive
„Druckbetankung“. Bei Fotoreisen hingegen geschieht das vor Ort meist sehr dosiert, schließlich möchten Teilnehmende hier vor allem die Natur und Atmosphäre eines Landes genießen und nicht
dauerhaft mit Informationen berieselt werden. Auf Nachfrage passiert das natürlich immer gerne.

Am Ende lenkt man durch solche Tipps aber natürlich auch immer die Motivwahl und die Bildgestaltung des Fotografen/ der Fotografin. Ich möchte heute 4 typische Fragen von Teilnehmenden aufgreifen, wo ich zwar Tipps geben kann, die Antworten aber auch sehr stark vom Teilnehmer selbst abhängen.
1. “Welches Objektiv brauchen wir später am Spot XY?“
Eine Frage, die mir regelmäßig vor Start einer Fotosession begegnet. Nehmen wir als Beispiel einen Wasserfall, den Oxararfoss auf Island. Ich sage es mal so: diese Frage kann ich -seriös betrachtet- nicht sinnvoll beantworten. Oder anders formuliert: ich beantworte sie an jedem Tag, an jedem Spot, sehr ähnlich und zwar wie folgt:
Das hängt von deinem Motiv-Geschmack, deiner Bildidee und deinen gestalterischen Präferenzen ab. Ich kenne Fotografinnen, die möglichst viel Bildwinkel generieren - dann nimm ein 12mm im Hochformat und stitche am besten noch ein Panorama. Andere möchten Zen-artig isolierte Steine mit ausschließlich fallendem Wasser im Hintergrund einfangen, dann nimm z.B. ein 70-300mm Objektiv. Und ich habe auch schon erlebt, wie im Sommer Weißwangengänse mit Küken direkt neben diesem Wasserfall standen und Fotografen gerne ihr 600mm Objektiv genutzt haben.
Also, vorab eine klare Empfehlung auszusprechen, dass eines dieser Objektive getrost im Hotelzimmer bleiben kann, ist daher mindestens mal „schwierig“. Wenn ich das tue, zwinge ich jemandem auch gleichzeitig meine fotografischen Präferenzen auf.
Gerade bei zum Beispiel einem klassischen Setup bestehend aus circa 14-24 (Ultra-WW), 24-105 (Standard-WW), 100-400 (mittleres Tele), 600 (großes Tele) empfehle ich immer an solchen tollen Spots Islands alle drei erstgenannten Objektive mitzunehmen und spreche lediglich beim 600er wirklich mal eine klare Empfehlung aus. Diese lautet aber selten, das Teil komplett im Hotelzimmer zu lassen.
2. „Mit welcher Iso oder Belichtungszeit fotografiere ich am besten?“
Regelmäßig hat z.B. ein Fotograf schon sein Setup aufgebaut, einen Bildausschnitt gewählt und stellt dann diese Frage, die ja auch völlig berechtigt ist. Meine persönliche Meinung, und das gilt auch für die nachfolgende Frage 3: wenn hierauf ein Workshopleiter direkt mit einer Zahl antwortet, bügelt er/sie über jegliche fotografische Kreativität und Freiheit hinweg.
In meinen Augen muss hier erstmal eine Gegenfrage erfolgen die ungefähr heißt: erklär mir kurz deine Bildidee und ich kann dir etwas empfehlen. Du möchtest den Wasserfalls sehr „milchig“? Oder nur leicht malerisch? Oder jeden Tropfen komplett eingefroren? Solche Präferenzen möchte ich nicht einfach für die FotografInnen entscheiden. Doch nach 2,3 zielgerichteten Fragen kann man das natürlich so tun, sodass das Bild am Ende auch den jeweiligen Geschmack trifft.
3. „Ab welcher Blende werden die Bilder unscharf? Wann rauscht DAS Bild zu stark?“
Mit diesen Fragen verhält es sich ganz ähnlich, nur die nachhaltige Lösung ist eine andere. Natürlich gebe ich bei solchen Fragen auch Empfehlungen und Erläuterungen ab, denn rein technisch betrachtet kann man das präzise beantworten. Allerdings muss ich folgendes feststellen: eigentlich ist meine persönliche Empfehlung hierzu irrelevant.
Ab wann schlägt Beugungsunschärfe zu? Wo liegt die Grenze zwischen unscharf und scharf, zwischen rauschig und rauschfrei? Frage 100 ExpertInnen, du bekommst mindestens 50 verschiedene Antworten. Es gibt z.B. sehr erfahrene FotografInnen, die nichts über f/8 akzeptieren und ein Landschaftsbild mit f/5.6 durchstacken. Technisch gesehen erhält man dann auch noch höher aufgelöste Details. Für andere ist in der Praxis sogar f/16 kein Problem. Meine Meinung: einzig relevant ist auch hierbei der Geschmack und das Auge des jeweiligen Fotografen/der Fotografin. Und dieser Geschmack lässt sich leicht ermitteln.
Dafür empfehle ich z.B. die nachstehende Vorgehensweise, von der man künftig bei sehr vielen Fotosessions profitiert:
- Fotografiere bei deiner nächsten Fotosession einfach mal zu drei verschiedenen Uhrzeiten eine Szene auf dem Stativ: im abendlichen Tageslicht (z.B. 2h vor Sonnenuntergang), zur goldenen Stunde (z.B. 15 Minuten vor Sonnenuntergang) und zur blauen Stunde (z.B. 20 Minuten nach Sonnenuntergang). Das kann auch durchaus mal von der eigenen Terrasse aus erfolgen
- Erstelle im ersten Schritt eine Bilderreihe mit jeweils allen Isostufen von Iso 100 bis 10.000 (bei gleicher Blende, z.B. f11)
- Erstelle danach eine Bilderreihe mit allen Blendenstufen zwischen Offenblende und f/18 (bei gleicher Iso, z.B. Iso 100)
- Das kostet dich vielleicht 3 x 5 Minuten an diesem Tag!
- Schaue dir anschließend die Ergebnisse an einem Monitor an und entscheide du alleine, ab wann es rauscht und wann es unscharf wird - die kritischen Bereiche wirst du sehr schnell "einkreisen" können und nebenbei auch feststellen, welche Stufen besonders kritisch sind
- Nutzt man eine neue Kamera, sollte man den Iso-Test wiederholen, und bei einem anderen Objektiv auch den Blenden-Test, da sich jedes Objektiv hierzu anders verhalten kann
4. „Welches Motiv ist das Richtige?“
Für die Motivwelten, die man gemeinsam auf einer Fotoreise erlebt, kann ich als Workshopleiter immer wieder Impulse geben, nach welche Kriterien man das eine Motiv unter Vielen aussucht. Beim Hauptmotiv ist das in vielen Fällen häufig noch einfach, doch bei den Nebendarstellern (weitere wesentliche Bildelemente) wird es in der praktischen Umsetzung schon schwieriger. Und Nebendarsteller sind halt wichtig, deshalb erhalten sie jährlich sogar einen eigenen Oscar 😉
Teilnehmende einer Fotoreise fotografieren auch immer wieder gerne „auf eigene Faust und für sich“, was ich gut und wichtig finde. Nach solchen Sessions kann es dann vorkommen, dass die FotografInnen z.B. bei einer Bildbesprechung selber schon das gewisse Etwas bei einem ihrer Bilder vermissen – ohne jedoch greifen zu können, was sie hätten optimieren können, da sie rein technisch/gestalterisch betrachtet alle Tipps befolgt haben.
Dies hat natürlich verschiedene Ursachen, in diesem Artikel möchte ich auf eine eingehen, die ich öfter wahrnehme: die Qualität der ausgesuchten wesentlichen Bildelemente ist noch nicht ausreichend. In der Landschaftsfotografie sind das z.B. häufig die Vordergrundelemente.
Das ist sehr abstrakt, deshalb gleich ein Beispiel: Nehmen wir die Dünenlandschaft am bekannten Vestrahorn auf Island. Woher weiß ich denn, welcher der 300 vor mir liegenden Hügel der Richtige für mich ist und wo genau ich mich positioniere, um ein Bild zu kreieren, das mir als FotografIn super gefällt?
Ich habe schon mitbekommen, dass FotografInnen in der Vergangenheit den zentralen und sicher gut gemeinten Tipp bekommen oder gelesen haben „fokussier dich auf das was am heutigen Tag speziell ist“. Das ist zwar richtig, aber aus didaktischer Sicht reicht das natürlich nicht aus und kann von einem Einsteiger meist nicht wirklich zielführend umgesetzt werden.
Ich sollte als Workshopleiter wie oben beschrieben sinnvolle Kriterien und Techniken zur Auswahl nennen und auch vor Ort aufzeigen, wie man diese findet. Allerdings kann ich feststellen, dass in solchen Situationen FotografInnen im Vorteil sind, die sich im Vorfeld zusätzlich einmal selbst mit Referenzen des jeweiligen Themas beschäftigt haben.
Was meine ich mit Referenzen? Damit meine ich nicht, dass man z.B. ein schönes Bild einer erfahrenen FotografIn versucht zu kopieren. Es geht vielmehr darum, sich mit Bildern dieser „Motivwelt“ (am Beispiel also mit Dünenlandschafts-Bildern) zu befassen, das kann auch ein ganz anderer Ort sein.

Wer sich dabei schwer tut, aus der Inspiration ein konkretes "Doing" vor Ort abzuleiten, dem empfehle, das strukturiert zu tun. Wie man das tun kann, dazu folgt jetzt ein längerer Exkurs:
Man kann beispielsweise so vorgehen, dass man im ersten Schritt auf einer Foto- oder Socialmedia-Plattform einfach mal 50 Bilder herauspickt, die einem in Bezug auf die Motivwelt richtig richtig
gut gefallen. Ganz intuitiv, etwa als Screenshot auf dem Handy. Vorteilhaft sind Plattformen, wo man die Exifs der Bilder einsehen kann, also beispielsweise die Brennweite.
Beispiele für solche Motiv-Welten sind "herbstliche Bachfotografie, Dünenlandschaften der Nordsee, Wasserfälle auf Island, Spiegelungen alpiner Bergseen, Waldfotografie zur Bärlauchblüte, etc".
Die packt man im zweiten Schritt einfach in einen "Inspirations-Ordner" und verdichtet sie im nächsten Schritt nochmal auf die besten 25.
Dann geht man kurz in die Analyse: warum treffen gerade diese Bilder meinen Geschmack? Vor allem: Wo liegt der gemeinsame Nenner dieser
Bilder? Auf diese Weise kann ich vielleicht ableiten, (Achtung, es folgen alles fiktive beispielhafte Kriterien!) dass bei den meisten dieser
persönlich ausgewählten Bilder…
- eher Bereiche mit vom Wind geformten Sandwellen gezeigt werden
- alle Bildelemente scharf abgebildet sind
- meist das komplette Vestrahorn zu sehen ist (nicht angeschnitten)
- jeweils in der Mitte eine ausgeprägte führende Linie zu sehen ist
- das Vestrahorn sogar noch leicht angestrahlt ist (übrigens nicht zu jeder Jahreszeit möglich!)
- der Horizont immer im oberen Drittel liegt
- sich rechts und links am Bildrand meist ein Hügel befindet und man praktisch aus der Senke fotografiert
- mit Brennweite unter 16mm fotografiert wurde
- am unteren Bildrand kein Pflanzenbewuchs zu sehen ist, sondern Sand
- immer eine stärkere Bewölkung zu sehen ist, die gut zur massiven Bergkette passt
Jetzt habe ich sozusagen Kernelemente meines eigenen Geschmacks für diese Motivwelt heraus gefiltert, was mir bei der Suche während der Fotosession hilft sowie beim späteren Bildaufbau. Jetzt sortiere und gewichte ich nochmal die gefundenen Punkte:
1. Planung: den 5. und 10.Punkt zum Beispiel muss ich bei der Planung berücksichtigen. Punkt 5 bereits vor der Reise, nämlich bei der Planung
der Jahreszeit bzw. Reisezeitraums und Punkt 10 zur Auswahl des richtigen Tages vor Ort.
2. Standort-Wahl: drei Punkte wären für mich besonders relevant, um den "geeigneten Hügel" zu finden, nämlich Punkt 1, 3 und 7.
Zusammenfassend suche ich also eine Senke zwischen zwei Hügel, aus der ich das komplette Vestrahorn erkenne und wo sich Sandwellen befinden. Übrigens ist
bei der Standortwahl der Punkt 8 auch nicht ganz uninteressant, auch wenn man ihn ebenso dem nächsten Punkt zuordnen kann.
3. Bildgestaltung: Alle anderen Punkte würde ich dann vor "meinem Hügel" zur Bildgestaltung berücksichtigen: also etwa die Horizont-Setzung, die führende Linie, den Abschluss am unteren Bildrand, das Abblenden für eine hohe Schärfentiefe etc.
Das Areal auf dem ich gerade stehe hat hier sehr wenig Sandwellen? Ich gehe weiter. Ich sehe keine Senke? Das ist nicht meine Stelle. Ich erkenne nur das halbe Vestrahorn? Wieder gehe ich
weiter....und werde bei 300 Hügeln irgendwann fündig 😉
Wenn ich selbst dort fotografieren gehe, muss ich auch so vorgehen und kann nicht einfach auf bekannte Stellen zurück greifen, da die Dünen jedes Jahr etwas anders geformt sind. Auch ich gehe
nach solchen persönlichen Präferenzen vor und brauche sicherlich immer mindestens 20 Minuten bis ich die erste geeignete Stelle für die Vordergrundelemente gefunden habe.
-Exkurs Ende-
Ich möchte auch noch kurz ein zweites Beispiel nennen, da es mir häufig begenet. Dabei geht es um Bilder von größeren Seen (z.B. im Alpenraum), wo sich FotografInnen -um bestimmte „Gestaltungsregeln“ einzuhalten, als Vordergrundelement einen dicken Ast oder dünnen Baumstamm suchen und anschließend im Uferbereich diagonal drapieren und dann "auf rosa Wolken" warten.
Bei diesen Bildern sind dann technisch gesehen oft alle „Lehrbuch-Gestaltungs-Regeln“ eingehalten. Und doch fehlt dem Bild häufig das gewisse Etwas. Das liegt daran, dass ein drapierter Baumstamm eben meist aussieht wie ein drapierter Baumstamm 😉.
Gibt man sich auch hier die Mühe und vergleicht das mal mit Bildern dieser „Motivwelt“, stellt man fest, dass die absolut epischen Spitzenbilder eben keinen drapierten Baumstamm zeigen, sondern meist andere, natürlichere Vordergrundelemente. Auf diese sollte ich mich dann zukünftig am Uferrand fokussieren, sie versuchen zu finden und ins Bild einzubetten.
Fazit dieses letzten Punktes: meine Message ist nicht, dass man die exakte Motivwahl nicht vor Ort vermitteln kann. Gerade
Anfänger/Aufsteiger können vor Ort eine Menge lernen und hier ist es auch genau richtig. Ich kann dort auch erfahrenen FotografInnen nochmal gute Impulse geben, zumindest ist dies das
Feedback meiner KundInnen 😉
Meine zentrale Message ist die, dass eine eigene Beschäftigung mit den jeweiligen Motivwelten im Vorfeld einer Fotosession sehr effizient ist, wenn man optimal
vorbereitet sein möchte bzw. auch nach der Fotoreise (ohne Fotocoach) zufrieden mit der eigenen Bildausbeute sein möchte. Auch ich als erfahrener Naturfotograf arbeite mich immer
wieder gedanklich auf diese Weise in solche Motivwelten ein, und wenn es manchmal erst am Vorabend auf dem Hotelzimmer stattfindet. 15 investierte Minuten können hier schon weiterhelfen.
Ich denke mal, das ist in den meisten kreativen Berufen so. Auch die meisten guten Musik-Komponisten haben sich mit Sicherheit im Leben von anderen KünstlerInnen inspirieren lassen und sich
vor dem ersten eigenen Erfolg mit Werken anderer befasst; in der Fotografie ist das nicht anders.
Ich hoffe ein paar Impulse geliefert zu haben und bedanke mich für dein Interesse! In diesem Blog wird es erst in circa einem Monat wieder News geben, da ich in 2 Wochen wieder eine 13 tägige Sommerreise durch Island für Brockmann Phototravel leiten werde.
Viele Grüße, Thomas