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Kameraentwicklung der Neuzeit: wenn ein Superlativ das Nächste jagt

Heute melde ich mich ein wenig aus dem Off. Seit meiner Rückkehr aus Norwegen hatte ich beruflich ziemlich viel um die Ohren und war zudem gesundheitlich nicht ganz auf der Höhe. Heute früh habe ich festgestellt, dass ich meinen Blog etwas vernachlässigt habe und dies gleich mal nachgeholt. Mit einem Thema, das mir schon seit fast einem Jahr durch den Kopf geht.

 

Wer regelmäßig meinen Blog liest, kennt meine zuletzt euphorischen Berichte über die Entwicklungen der neueren Objektiven, etwa beim 600 TCS, 400/4.5 sowie 24-120/4. Gerade der Fortschritt hinsichtlich des Gewichtes sowie der Stabilisierung freuen mich regelmäßig.

 

Heute möchte ich jedoch mal einen kritischen Blick auf ein Technik-Thema werfen, das mir bereits seit Jahren auffällt und gerade im Zeitalter der DSLM`s in meinen Augen verstärkt wird. Es geht um die technische Entwicklung von Kameras, vor allem den sogenannten „Highend-Boliden“ großer Kamerahersteller. Und dabei ganz besonders um die Autofokusperformance.

 

Gerade für „Aufsteiger“ im Bereich der Fotografie können diese „Botschaften“ mitunter verwirrend sein, deshalb nähere ich mich dem Thema von zwei Seiten: einmal eher theoretisch/logisch und dann nochmal stark auf die Praxis bezogen.

Die Theorie: Von Zahlen-Daten-„Fakten“

Kommen wir gleich zur Sache: es geht um die in meinen Augen massiv übertriebenen Performance-Vergleiche der einzelnen Kameras bzw. Kamera-Generationen, vor allem beim Thema Autofokus. Das erlebe ich in Gesprächen, lese es in Foto-Foren, sehe es in Youtube-Reviews, auf den Herstellerseiten und an vielen weiteren Stellen. Und die dort suggerierte Bedeutung des Themas „matcht“ irgendwie nicht mit meinen Erfahrungen in der Foto-Praxis.

 

Immer wieder wird der einen -brandneuen oder in den Startlöchern stehenden- Kamerageneration eine massive technische Revolution des AF zugesprochen. Nicht nur von Herstellern (nachvollziehbar), sondern auch von vielen erfahrenen Fotografen, die nach wie vor auf der Suche nach dem heiligen Gral zu sein scheinen. Dass das teilweise absurde Ausmaße annimmt, merkt man vor allem bei einem Blick in die Vergangenheit:

 

Hier starte ich bewusst nicht im Jahre 2008, als man etwa einer Nikon D3 bereits phänomenale Autofokus-Qualität zusprach 😅 Starten wir ein wenig später: Die gleichen Fotografen und „Reviewer“, die heute, im Jahr 2023, mit Superlativen um sich werfen, stellten z.B. schon 2017, etwa beim Testen einer Nikon d850 oder Canon 5d Mark IV fest, dass die Autofokusperformance massiv den Vorgängern überlegen sei. Man merkte an, dass man nun -zum Beispiel bei Vogel-Flugaufnahmen oder laufenden Tieren- „fast keinen Ausschuss mehr hat“. Hier wurden 2017 schon Erfolgsraten von mindestens 95% und höher in den Raum gestellt.

d850/600mm/2000stel/Iso2000/f4.0
d850/600mm/2000stel/Iso2000/f4.0

Nun habe ich keinen Master in Mathematik, aber ein paar Dinge weiß ich: zwischen den oben genannten 95% und den theoretisch maximal erreichbaren 100% liegen nach ausführlichen Berechnungen 5%Punkte. Wie kann es dann sein, dass sich seit Jahren die AF-Performance von Modell zu Modell, und das Marken-übergreifend „um Welten“ verbessert? Schaffen heutige Kameras bei einer Flugszene mehr scharfe Bilder als Auslösungen? 😂 Ich vermute eher nein…

 

Übrigens, halte ich die 95% von damals persönlich für realistisch? Naja, bei einzelnen, sehr grenzwertigen Situationen lag die Quote auch schonmal deutlich darunter. Das kam zum Beispiel auf das Flugverhalten und vor allem auf den Kontrast im Hintergrund an. Gerade wenn die Bedingungen schlecht und unfotogen sind (etwa unruhiger Hintergrund), sinkt die Erfolgsquote. Könnte man auch als guten Warn-Indikator betrachten 😉 Wenn es nicht gerade ein frontaler Zickzack-Flug ist und der Hintergrund einigermaßen kontrastarm ist, dann würde ich sagen 90% Erfolgsquote mit der d850 gingen schon klar.

d850/600mm/1250stel/Iso5000/f4.0
d850/600mm/1250stel/Iso5000/f4.0

Das setzte halt voraus, dass ich die Kamera sehr routiniert bedienen konnte und man durchaus nicht nur fliegende Vögel im Frontalflug fotografiert, sondern ein ganz normaler Motiv-Mix eines Naturfotografen vorliegt 😉ABER: mir geht es gerade gar nicht um die Realität, sondern um o.g. Reviews, also weiter im Text:

 

Lustig sind vor dem Hintergrund vor allem die ganzen möglichen Quervergleiche, die man im Netz liest: eine d850 war also schon sehr sehr gut, eine D5 jedoch nochmal besser, dann kamen die DSLMs, etwa mit einer R3 als non plus ultra – halt nein, zuletzt war es die R6II mit einem riesen Schritt nach vorne - aber Stop- die Sony A1 ist und bleibt natürlich das Maß aller Dinge, wobei nein - jetzt kommt ja die A9 III, die wieder alle Rekorde brechen wird… Formulierungen wie diese machen in einer Range von 5-10% wirklich Sinn, oder? 🤦‍♂️

 

Das alles produziert auch die immer wieder gelesene und gehörte Auffassung unerfahrener Fotografen, dass bessere Kameras automatisch zu besseren Bildern verhelfen. Die Praxis ist davon weit entfernt. Darauf möchte ich näher eingehen, um das auch mal möglichen Ein- und Aufsteigern etwas praktikabler zu erläutern.

Die Praxis: Welche Bedeutung haben aktuelle Entwicklungen der Kamera/des Autofokus für meinen persönlichen Fotografie-Erfolg?

Auch ich weiß viele Dinge an meinen neuen Kameras sehr zu schätzen. Gerade eine erhöhte FPS-Zahl und der elektronische Sucher helfen mir sehr. Auch beim Autofokus ist die automatische Motiverkennung in vielen Situationen mittlerweile sehr komfortabel und erfreut mich regelmäßig. Doch für den wirklichen „Erfolg“ bei meiner Fotografie spielt das eine absolut untergeordnete Rolle. Das möchte ich näher erklären:

Z9/600mm/800stel/Iso5000/f4.0: a great wish came true here in May
Z9/600mm/800stel/Iso5000/f4.0: a great wish came true here in May

Viele meiner Blog-Serien entstehen per Zufall und durch Impulse der Natur. Doch pro Jahr habe ich auch immer 2-3 langjährige „Wunschziele“ und erstelle -schon aus Gründen der benötigten Reiseplanungen- eine Art Jahresplanung. Auch bei meinen diesjährigen fotografischen Wünschen: etwa der Fotografie eines weißen Polarfuchses, der Idee eines Wiedehopf-Bildes ganz speziell auf der Balearen-Flechte oder den Wunsch eines Moschusochsen-Kalbes in Herbstfarben. Alle drei Motive hatte ich schon im Januar vor Augen.

 

Dabei sind es über die Jahre immer die gleichen Faktoren, die über Erfolg oder Misserfolg von solchen Bildern entscheiden. Ich versuche mal die Bedeutung des Themas Kamera/Autofokus in diesem Kontext einzuordnen - hier mal 10 konkrete Faktoren, sortiert nach echter Relevanz aus meinen Erfahrungen, die wirklich entscheidend bei der Umsetzung sind. Am Beispiel der Wildlife-Fotografie:

Z9/840mm/1000stel/Iso4000/f5.6
Z9/840mm/1000stel/Iso4000/f5.6
  1. Gelingt mir die Vor-Recherche eines neuen Spots bzw. einer Tierart derart, dass ich wirklich eine realistische Chance auf eine Sichtung habe und sich Aufwand und Kosten lohnen?
  2. Gehe ich das Traummotiv wirklich an oder finde ich am Ende wieder 100 gute Gründe dies aufs nächste Jahr zu schieben? (starker Impact!)
  3. Ermöglichen die ausgewählten Orte, Jahreszeiten und Rahmenbedingungen eine wirklich fotogene Umsetzung meiner Motive, bei der ich ausreichend kreativen Freiraum habe und meine Perspektiven selbst bestimmen kann?
  4. Finde ich während eines geeigneten Aufenthalt-Zeitraums überhaupt die avisierten Tiere, ist die Suche erfolgreich?
  5. Lässt sich -mit oder ohne Tarnung- eine ausreichende Nähe herstellen?
  6. Kann ich das Tier in einem Bereich mit einer schönen Hintergrundgestaltung ablichten?
  7. Spielt das Wetter überhaupt für die Umsetzung meiner Bildidee mit?
  8. Hab ich das Glück das Tier im optimalen -meist schmalen- Zeitfenster abzulichten?
  9. Ist eine ausreichend fotogene tiefe/hohe Perspektive auf das Tier möglich?
  10. Macht mir zu starkes Luftflimmern einen Strich durch die Rechnung? Etc...

…nach meiner Erfahrung taucht eine Frage wie „Kann ich die Momente der Sichtung bei guten Bedingungen voll verwerten oder haut meine Kamera / mein AF daneben?“ nicht einmal in den TOP20 der relevantesten Faktoren auf. Auch wenn ich mir vorstellen kann, dass eine solche Frage bei einem Fotografie-Einsteiger zum Beispiel sicherlich höher gerankt ist.

 

DAS sind auf jeden Fall bei jeder Reise und bei jeder Serie die wesentlichen Erfolgsfaktoren, damit solche Bildideen funktionieren. Doch das funktioniert auch häufig nicht; in dieser Dezemberwoche zum Beispiel hatte ich eine Bildidee:

Genau dieses Licht mit dem Farbkontrast hatte ich im Kopf. Das goldene Morgenlicht strahlt schon die Landschaft an und der vor meinen Füßen liegende See befindet sich im Schatten und wirkt noch tiefblau. Doch auch an diesem Morgen machte mir sozusagen Faktor Nummer 8 einen Strich durch die Rechnung; Leider kam der Eisvogel nicht im relevanten Zeitfenster von vielleicht 10 Minuten, obwohl er dauernd um mich herum flog. Ein kurzes Landen hätte mir schon gereicht. Das Thema Autofokus war nun wirklich mein allerletztes Problem. Deshalb hat es dieses Bild nie gegeben. Das Problem tritt bei mir in der Naturfotografie häufiger auf, im Gegensatz zu einem „Fail“ aufgrund eines nicht sitzenden AF`s.

Seit 6 Jahren stelle ich hinsichtlich AF kein wirkliches Problem mehr fest. Und ich bin nicht mal ein Wildlife-Spezialist, diese haben ihre Autofoki in der Regel noch weitaus stärker individuell konfiguriert.

 

Nun habe ich keine sagenumwobene Sony A1, keinen Canon-Boliden, sondern eine Nikon, deren Autofokus, vor allem die autom. Tieraugenerkennung, in „Experten“-Reviews momentan regelmäßig abgeschlagen zurück liegt. Da sind sie wieder, die „Welten“. Warum spüre ist das nicht in der Praxis?

 

Ich denke es liegt einfach daran, dass ich „meinen“ systemspezifischen Autofokus (hier Nikon) gut kenne – und weiß, welches Messfeld wann an seine Grenzen stößt, wann ich von der automatischen Erkennung Abstand nehme. Außerdem beschäftige ich mich immer sehr stark mit der richtigen Vorfokussierung, und nebenbei auch mit der Fokusbegrenzung sowie dem richtigen Lock-on. Alles nichts Bahnbrechendes, aber halt mit viel trial-and-error in der Vergangenheit ausgetestet.

 

Komme ich seither auf eine 100% Quote im AF? Nö, ich habe immer auch Ausschuss. Doch ich möchte behaupten, dass ich bei 99% aller wichtigen Situationen mit Tieren, auf deren Sichtung ich gehofft habe, mit sehr zufriedenstellenden Ergebnis nach Hause komme und ich nicht aufgrund eines „nicht sitzenden AF“ die tollsten Szenen verpasse.

 

Die folgende Szene aus Mai zum Beispiel hatte sicherlich 120 Auslösungen (ca. 6 Sekunden bei 20fps) und inkludierte natürlich auch ein paar Bilder wo der Fokus leicht versetzt war, das Tier flog praktisch eine Kurve:

Z9/600mm/5000stel/Iso3200/f4.0
Z9/600mm/5000stel/Iso3200/f4.0

Doch das ist am Ende auch völlig irrelevant, denn wen interessieren ein paar weniger scharfe Bilder bei mehr als 100 scharfen Aufnahmen einer einzigen Flugszene? Übrigens wäre diese Szene (Z9) auch vor 6 Jahren mit einer d850 kein Problem gewesen, dann halt mit 54 Bildern in 6 Sekunden…

Mein Fazit:

Alle neuen Funktionen und Features bei heutigen professionellen Digitalkameras machen das Fotografieren teils wirklich komfortabel und stellenweise regelrecht einfach; auch ich freue mich regelmäßig über tolle Weiterentwicklungen, gerade bei den Themen FPS, EVF und Stabilisation.

 

Doch wenn es um die Eigenschaften geht, die Kamera-seitig über den fotografischen Erfolg entscheiden, zum Beispiel im Kontext Bildqualität oder des Autofokus, reden wir hier in meinen Augen schon seit Jahren von feinen Unterschieden in der Leistung und einem sehr sehr hohen Grund-Niveau. Seit Langem scheitern 99% der Bilder nicht mehr an der Technik, wenn man nicht gerade Zoomobjektive mit 2fach Konvertern bedienen möchte 😅

 

Schon weitaus mehr Einfluss haben da in meinen Augen die sehr geringen Gewichte und die tollen Stabilisatoren der modernen Objektive, was mir in der Praxis erlaubt, Verwacklungsunschärfe zu reduzieren, immer häufiger das Stativ wegzulassen und somit spontaner reagieren zu können.

 

Bevor man Kamera-seitig also ständig nach dem nächsten „Gral“ schielt, empfehle ich persönlich, erstmal an den (technischen) Stellschrauben zu drehen, die man als Fotograf mit der vorhandenen Technik selbst beeinflussen kann.

 

In meinen Augen macht es Sinn, lieber mehr Zeit in die Planung oder das Erkunden in der Natur zu investieren als sich ständig der Recherche neuer Kameramodelle zu widmen.

 

Diese Gedanken wollte ich einfach mal teilen.

Danke für euer Interesse und viele Grüße,

Thomas