Von testcharts und Crops

Warum ich nichts von Testchart-Fotografie im Telebereich halte:

In früheren Jahren habe ich Objektive immer ziemlich „klinisch“ getestet. Davon halte ich -bei Teleobjektiven- mittlerweile wenig. Ich möchte ein Beispiel nennen: das Sigma 500/4 sports. Dieses Objektiv war nämlich optisch absolut spitze, auch mit Konverter auf 700mm. Erst recht, wenn ich es „sauber“ testete (damals Spiegelvorauslösung etc). Dann war kein anderes der genannten Supertele schärfer, höchstens gleich.

 

Doch ich brauchte mehr Brennweite und stieg aufs 600 FL um. Und siehe da, plötzlich ergab sich ein netter Nebeneffekt den ich gar nicht auf dem Schirm hatte: „im Feld“ hatte ich noch weniger Ausschuss als mit dem Sigma - und das, obwohl es sogar mehr Brennweite hatte (beide mit gleicher Kamera genutzt, der d850). Bei Belichtungszeiten ab einer 1000stel oder kürzer war das weniger spürbar, doch bei längeren Belichtungen schon, und die habe ich oft in der Naturfotografie im weichen Licht.

 

Ich vermute, dass unter anderem der bessere Bildstabilisator und Nuancen Unterschied im AF und vielleicht weitere Faktoren eine Rolle spielten. Im Prinzip ist es aber auch egal, denn letztlich kommt es auf die Praxis an. Solche Beobachtungen hatte ich desöfteren und daher ist für mich der „real-world“-Test Ausschlag gebend und kein klinischer Testaufbau mit Fernauslöser, ausgeschaltetem Stabi etc. Das ist aber ein Phänomen bei modernen Telelinsen, bei Ultraweitwinkelobjektiven hingegen ist der Unterschied in Sachen Randschärfe, Verzeichnung, Auflösung etc. teils viel höher.

Und wo wir dabei sind, darum halte ich nichts von 100% Ausschnitten:

Auch hier möchte ich als Beispiel mal ein Sigma Objektiv heran ziehen. Im Jahr 2016 hatte ich mal ein Sigma 150-600 sports, ein solides Telezoom, mit gutem Bokeh. In meinen Augen ein super Preis-Leistungsverhältnis.

 

Auf jeden Fall ist mir aufgefallen, dass dieses Objektiv so scharf abbilden konnte (nicht bei allen Bildern gelungen), dass ich selbst in der 100% Ansicht am 27 Zoll Monitor keinerlei Unschärfen gesehen habe (damals bei 36mp der d810), eine sehr saubere Arbeitsweise vorausgesetzt. Dazu habe ich mal ein Beispiel aus meinem Archiv heraus gesucht:

Es wurde auf 600mm Brennweite aufgenommen, mit zusätzlichem 1,2fach Cropmodus der Nikon d810. Das Bild habe ich mit DXO entrauscht und in Lightroom entwickelt. Ich gebe zu bedenken, dass die paarenden Libellen in ständiger Bewegung waren, bei einer Belichtungszeit von 1/1000stel Sekunde. Und nun mal die 100% Ansicht im Hochformat:

Jetzt mal ehrlich: dieser extreme Ausschnitt würde auch bei einem lichtstarken Supertele nicht anders aussehen. Vielleicht noch in der praxisrelevanten 500% Ansicht 😅 Alles was hier unscharf ist, liegt einfach außerhalb der Schärfeebene.

 

Was will ich damit sagen? Sicherlich nicht, dass dieses Objektiv gleichauf mit modernen Supertele liegt, denn das tut es sicher nicht, ich hatte immer einen spürbaren Ausschuss damit.

 

Wir reden aber hier von einem 1,5k Objektiv, das vor fast 10 Jahren entwickelt wurde. Der Punkt ist: es war definitiv nicht so stark wie andere Teleobjektive, z.B. mein heutiges Z100-400, einem Canon RF100-500 oder Prime-Superteleobjektiven. ABER ich könnte euch von jeder Session Bilder und Ausschnitte zeigen, wo das so erscheint. Siehe oben.

 

Mein Fazit: an einzelnen Bilder kann man die Leistung von Tele-Objektiven nicht wirklich sinnvoll beurteilen, zumindest ab einem bestimmten Grundniveau. Daher halte ich im Telebereich weder etwas von Testcharts noch von 100% Ausschnitten, sondern in meinen Augen ist einzig relevant, wie sich das Objektiv bei meinen fotografischen Vorlieben in der Praxis verhält. Ich selbst finde daher auch beispielsweise das geschriebene oder gesprochenene Wort von erfahrenen Fotografen wie Brad Hill und Steve Perry interessanter als einhundert Testaufbau-Raws.